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Astrit Ibro: Rückblick auf 31 Jahre Tätigkeit bei Radio Tirana
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Mein Freund Volker Willschrey hatte mir in diesen Tagen in einer Email vorgeschlagen, eine kleine Biografie zu schreiben. Und
ich konnte nicht nein sagen. Ich hatte einen Grund dafür: Wir haben
dieser Tage, genau am 28. November 2008, ein Jubiläum, den 70.
Geburtstag von Radio Tirana, gefeiert. Ein guter Anlass, um eine Bilanz
zu ziehen.
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Radio Tirana (Gebäude) |
Radio
Tirana ist nicht nur der älteste Hörfunksender in Albanien. Radio
Tirana war zwischen 1938 und 1993 das einzige Radio in Albanien, die
Stimme der Albaner nicht nur innerhalb der Republik Albanien, sondern
auch für alle Albanerinnen und Albaner in ihren ethnischen Gebieten und
in der Diaspora. Die Einweihungszeremonie begann am 28. November 1938
um 11 Uhr in Lapraka und das Einweihungsband durchschnitt der König
Zogu selbst, während die Königin Geraldine das Tagesprogramm von Radio
Tirana selbst verlesen hat“ – so schrieben die Zeitungen der damaligen
Zeit.
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Historische
Dokumente zeigen, dass die Versuche für ein albanisches Radio schon
früher begonnen hatten. Eine Gruppe albanischer Emigranten in der
italienischen Stadt Bari hatte bereits Anfang der 20-er Jahre des
vergangenen Jahrhunderts ein kleines Radio gegründet, das albanische
Nachrichten auf Kurzwellen ausstrahlte. Schwer zu sagen, ob die Albaner
damals diese „Programme“ gehört haben. Und danach gab es immer wieder
Anstrengungen und Versuche, bis zum Jahr 1938 und seit dem hört man
Radio Tirana täglich. Heute in drei Programmen: das erste nationale
Programm, das zweite Unterhaltungsprogramm und das dritte
Auslandsprogramm oder anders gesagt, Radio Tirana International.
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Mein
erster Arbeitstag in Radio Tirana ist mit einem traurigen historischen
Ereignis verbunden: denn an einem 7. April (im Jahr 1939) wurde
Albanien von den italienischen Faschisten erobert. Der König mit seiner
Frau und dem zwei Tage alten Sohn Leka mussten nach Griechenland
fliehen.
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Genau
am 7. April 1978 habe ich den ersten Arbeitstag in Radio Tirana
begonnen. Nach einem kurzen „Empfang“ von dem Direktor für
Auslandsradio, der mir von der Bedeutung und der Wichtigkeit der Arbeit
sprach, landete ich in die deutsche Redaktion. Vor mir ein Stuhl, ein
Tisch und darauf eine alte italienische Olivetti-Schreibmaschine. Ich
musste zum ersten Mal mit einer Schreibmaschine schreiben und das war
eine kurze Nachricht, die ich von dem Albanischen ins Deutsche
übersetzen musste. Das war nicht einfach. Emotionen, Schwierigkeiten,
Ehrgeiz.
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Astrit Ibro im Studio |
Auch
heute klingt der Satz an meine Ohren, den mein Freund und der bekannte
Übersetzer des albanischen Schriftstellers Ismail Kadare, Joachim Röhm
mir sagte: „Grammatikalisch korrekt, nur – es klingt nicht Deutsch“.
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Und
ich hatte Germanistik studiert, aber wo: nicht in Albanien, nicht in
der Bundesrepublik Deutschland, nicht in Österreich, nicht in der
damaligen DDR und nicht in der Schweiz. In China, an der Pekinger
Universität. Und nach China bin ich zum Silvester 1973/74 gemeinsam mit
44 anderen albanischen Studentinnen und Studenten, mit einer
chinesischen Militärmaschine von Tirana nach Peking geflogen. Weil in
Karachi schlechtes Wetter war, musste die Maschine einen Umweg machen
und sie landete in einem Militärflughafen in Kandahar zum Tanken, ein
moderner Flughafen, gebaut von den Amerikanern.
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Svjetllana Mihali von der deutschen Redaktion (sitzend) mit Kollegin der englischen Abteilung |
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In
Peking habe ich bis zum Sommer 1974 an dem Pekinger Spracheninstitut
Chinesisch gelernt, wo ich auch deutsche Studenten kennengelernt habe.
Mit einem von ihnen, nämlich mit Dr. Werner Bartels habe ich nach 1992
mehrmals für albanische und deutsche Delegationen, Minister,
Regierungschefs und Ministerpräsidenten gedolmetscht.
Dreieinhalb
Jahre lebte und studierte ich an der Pekinger Universität. Eine schöne
Erfahrung, ein intensives Leben. Hier waren auch meine ersten Kontakte
mit unserem Deutsch-Lehrerin, Frau Katerine Dschao, eine kluge Frau,
eine nette Mutter, die mich wie ihr Kind geliebt hat.
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Die Hörfunkintendantin, Frau Zamira Koleci |
Frau
Dschao wurde in Berlin geboren. 1945 ging sie von Berlin in die
Schweiz, wo sie auch einen chinesischen Chemie-Professor kennengelernt
und geheiratet hatte. Mit ihm ging sie nach Peking, überlebte die
Kultur-Revolution in China und es war so mein Glück, reiche Kenntnisse
über die deutsche Geschichte und Kultur, die Sprache und die
Traditionen zu lernen. In meiner Heimatstadt Corovoda hatte ich nur
Russisch als Fremdsprache gelernt, und ich war nicht besonders fleissig
in diesem Fach, weil ich sowieso keine Motivation hatte. 1961 kam es
zum Bruch mit der damaligen Sowjetunion. Viele gemischte
albanisch-russische Ehen sahen sich zu Scheidung gezwungen. Eine echte
Katastrophe.
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In diesem System haben wir bis zum Winter 1990 gelebt und überlebt. Das war nicht einfach. Wenn
ich zurückblicke, freue ich mich. Das ist kein Paradox. Nein. 31 Jahre
bei Radio Tirana, das ist ein ganzes Leben, einer der aktivsten
Abschnitte im Leben eines Menschen. Ich habe reiche Erfahrungen von
zwei Welten, von zwei Systemen gesammelt. Ich habe albanische
Intellektuelle kennengelernt, ich habe mit einigen der berühmten
albanischen Übersetzer, wie Robert Schwarz gearbeitet, der mit seinen
Übersetzungen der deutschen Literatur einen großen Beitrag geleistet
hat.
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Schreibtisch von Astrit Ibro – Deutsche Redaktion |
Die
Studentenproteste und die Ausschreitungen für bessere Lebensbedingungen
und mehr Freiheit im November/Dezember 1990 habe ich durch die
deutschen Sender mitbekommen. In dieser Zeit war ich bei einer
Ausbildung am Goethe-Institut in München. Das politische Erdbeben in
Osteuropa zeigte endlich auch in Albanien seine Folgen. Umso besser.
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Vorher
hatte der albanische Schriftsteller, Ismail Kadare das Land
demonstrativ verlassen. Gegen das totalitäre Regime waren nicht nur die
politischen Gegner. Dagegen waren alle, ja sogar auch Mitglieder der
Kommunistischen Partei der Arbeit, In den 80-er Jahren herrschte in
Albanien eine schwere Nahrungsmittelkrise. Oft musste ich um zwei oder
drei Uhr morgens aufstehen, um einen Liter Milch oder ein Kilo Fleisch
zu kaufen. Gegen sieben Uhr gab es nur leere Regale und die Verkäuferin.
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Technikerin bei Vorbereitung Live Sendung in Albanisch
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Informationsabteilung |
Den
Wechsel haben wir alle begrüßt, obwohl er vont Schwierigkeiten
begleitet war. Mit dem Sturz des kommunistischen Systems brach auch die
sozialistische Planwirtschaft zusammen. Radio Tirana war bis zu dieser
Zeit eine privilegierte Institution, Stimme der Partei, doch die Partei
trug keine Verantwortung mehr. Von 21 Fremdsprachen mit 83 Stunden
Programmen am Tag mussten einige geopfert werden. Und die Fremd-
sprachensendungen fielen nach einander wie die Dominosteine: Chinesisch
und Portugiesisch, Arabisch und Polnisch, Portugiesisch und Spanisch,
Russisch und Tschechisch, Bulgarisch und Rumänisch, Ungarisch....
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Und
heute sendet Radio Tirana nur in 7 Fremdsprachen, nämlich auf Englisch,
Französisch, Deutsch, Griechisch, Italienisch, Serbisch und Türkisch.
Und natürlich auch auf Albanisch für die Albaner im Ausland, deren Zahl
in den letzten 18 Jahren die Grenze von 1 Mio. überschritten hat; heute
leben albanische Gastarbeiter in Europa und in den USA, in Kanada und
anderen Ländern. Nur in Italien leben offiziell 430.000 Albaner,
genauso viel in Griechenland, in Deutschland nur ca 20.000.
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Eine
neue Herausforderung stand vor uns: verbunden mit technischen und
finanziellen Schwierigkeiten. Wir haben nun eine neue Philosophie
ausgearbeitet und vorbereitet. Radio Tirana war nicht mehr ein
Sprachrohr einer Partei. Radio Tirana hatte die Mission und die
Funktion, die Hörerinnen und Hörer zu informieren. 1993 haben mein
Kollege und Freund Sokol Mici und ich den deutschsprachigen Hörerklub
von Radio Tirana gegründet, den heute unser Freund Werner Schubert
erfolgreich leitet. Wir bemühten uns, Albanien im Ausland bekannt zu
machen. Wir wollten über die Geschichte und die Geographie, die
Folklore und das touristische Potential, aber auch über den
demokratischen Prozess berichten. Albanien konnte nicht am Abend
kommunistisch ins Bett gehen und am nächsten Morgen demokratisch
aufwachen. Das war ein langer und schwieriger Prozess, den wir in
unseren Sendungen mitbegleitet haben:
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Astrit Ibro (links) mit zwei Kollegen |
von
den ersten Parteizeitungen kamen plötzlich viele Zeitungen; von einer
Partei, die 45 Jahre lang mit eiserner Hand herrschte, entstanden nach
einander die ersten Oppositionsparteien, und heute gibt es bei uns über
50 politische Parteien, ca 70 Radio- und TV-Sender. Auch nach 70 Jahren
ist Radio Tirana unter 70 Sendern der Erste – so erklärte der
Generalintendant des albanischen öffentlich-rechtlichen Hörfunk- und
TVSenders, Betrit Beci, am 70. Geburtstag von Radio Tirana.
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Und
in diesen 18 Jahren hatten wir vieles zu berichten: über die Unruhen im
Frühjahr 1997, über die bewaffneten Proteste im September 1998, als
Protestierende sogar mit einem Panzer bis vor dem Eingang von Radio
Tirana kamen, über die Kosovo-Krise, als Albanien mehr als 500.000
Kosovo-Albaner aufnehmen musste. Auch heute gibt es vieles zu
berichten, vor allem über den euro-atlantischen Integrationsprozess und
die wirtschaftliche, politische und soziale Entwicklung. Der
Informationsstoff fehlt bei uns nicht.
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In diesem Studio wird das Programm für Albaner im Ausland vorbereitet
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Im
Herbst 1997 habe ich ein Angebot von dem Hörfunkintendant erhalten,
nämlich, die albanische Redaktion für die Albaner im Ausland zu leiten
und einen Auslandsdienst nach dem neuen Konzept zu organisieren. Ich
habe diese Herausforderung gern angenommen, in der Hoffnung, dass es
kurz andauern würde. Nein. Neuneinhalb Jahre habe ich Radio Tirana
International geleitet.
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Ich
bemühte mich, die alten Fehler zu vermeiden. Die Zensur existierte
nicht mehr für mich. Leider gab es bei einigen Kollegen eine Art
Selbstzensur. Es ist schwierig, die Mentalität zu ändern.Eine andere
Herausforderung verbindet sich mit der Erneuerung der Technik. Und
dafür gibt es gute Ideen, es fehlt das Geld und dieser Prozess geht
langsam voran. In Radio Tirana leben alte Aufnahmegeräte ungarischer
Herstellung aus den 70-er Jahren mit modernen Digitalgeräten zusammen.
Es gibt fleissige Technikerinnen, die diese alte Technik pflegen und es
funktioniert.
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Projektteam, von links nach rechts: Bernd Frinken (Funkhaus Radio 700 Euskirchen, Intendanz), Drita Cico (Radio Tirana, technische Abteilung), Astrit Ibro (Radio Tirana, deutschsprachiges Programm), Christian Milling (Funkhaus Euskirchen, Technik) |
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Inzwischen
kehrte ich in die deutsche Redaktion zurück. Und jetzt sieht mein
Arbeitstisch völlig anderes als vor 31 Jahren aus. Die moderne
Technologie erleichtert die Arbeit sehr und gibt uns neue
Möglichkeiten. Gemeinsam mit unserem Freund Werner Schubert habe ich
neue farbige QSL-Karten-Serien gefertigt; wir haben eine Internet-Seite
für den deutschsprachigen Hörerklub von Radio Tirana mit reichen
Informationen und tollen Bildern aus Albanien gestaltet. Und nur vor
wenigen Tagen ist es uns gelungen, die Fremdsprachensendungen und das
albanische Auslandsprogramm auch via Internet auszustrahlen, ein
Geschenk zum 70. Geburtstag von Radio Tirana. Dafür möchte ich Radio
700 und vor allem meinem Freund Christian Milling herzlich danken. Neue
Herausforderungen stehen vor mir: eine ist: Erinnerungen für meine
Freunde zu schreiben. Und ich habe dies gern getan, weil ich mich in
meinem Leben von dem Prinzip leiten lasse: „Es ist besser Freunde zu
gewinnen als Gegner zu haben“. Und in diesen 31 Jahren in Radio Tirana
habe ich viele Freunde in Albanien, aber auch in Deutschland und
Österreich gewonnen, die ich heute herzlich grüßen möchte.
(Zusammenstellung: Volker Willschrey)
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